1 Burgenbau und Burgenpolitik

Broschüre:

Bevor die Burg zu jenem heute bekannten „klassischen“ Bauobjekt des Hochmittelalters wurde, hatte sie eine lange bauliche Entwicklung hinter sich und einen ebenso langen Prozess noch vor sich. Erst im 10. Jahrhundert hatten sich Burg und Dorf, die bis dahin eine Einheit gebildet hatten, getrennt. Dazu hatte zum einen die systematische Anlage von so genannten Fluchtburgen während der ständig drohenden Ungarneinfälle beigetragen; zum andern nahm die Bedeutung bestimmter Burgen als adelige Wohnsitze zu. Bereits um die Mitte des 10. Jahrhunderts müssen wir die Baumburg – an jener Stelle, wo später das gleichnamige Stift der Augustiner-Chorherren entstand – als einen befestigten Wohnsitz der Sighardinger annehmen. Etwa 100 Jahre später wird die Burg Tengling für eine Zeit zum namengebenden Sitz der Sighardinger. Allerdings wurden die Burganlagen jener Zeit noch hauptsächlich in Holzbauweise errichtet, verbunden mit Gräben und Wällen aus Stein und Erde.

Von Steinburgen in unserem Gebiet wissen wir erst seit der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, als der Salzburger Erzbischof Gebhard in den 1060er Jahren die Burgen Hohensalzburg und Hohenwerfen zu bauen begann. Darauf deuten sowohl schriftliche Quellen als auch archäologische Untersuchungen hin. Die genauen Entstehungsdaten der Burgen sind uns nur in ganz seltenen Fällen bekannt, wie etwa von der ca. 1218 errichteten herzoglichen Burg Gruttenstein in Reichenhall. Zumindest teilweise in Stein ausgeführt waren die Burgen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, so etwa die Stammburgen der Grafen von Lebenau (vor 1130) und Plain (vor 1108).

Hohensalzburg auf der Darstellung der Schedel‘schen Weltchronik 1493 © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Hohensalzburg auf der Darstellung der Schedel‘schen Weltchronik 1493 © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

Neben den mächtigen Wehrbauten der Herzöge, Erzbischöfe und Grafen errichteten seit dem 12. Jahrhundert auch die Ministerialen Burgen, um Macht und Einfluss ihres Herrn zu demonstrieren. So hatten sich die Staufenecker als

Luitold III. von Plain († 1219) als hölzerne Skulptur seines ehemaligen Hochgrabes im Stift Höglwörth, vermutlich 14. Jh. © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Luitold III. von Plain († 1219) als hölzerne Skulptur seines ehemaligen Hochgrabes im Stift Höglwörth, vermutlich 14. Jh. © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

 

Burggrafen auf der Plainburg das besondere Vertrauen der Grafen von Plain erworben. Diese gestatteten ihnen auf gräflichem Grund und Boden in der Nähe der Handelsstraße von Reichenhall die Burg Staufeneck zu erbauen. Mit eigenen Burgen konnten auch die bedeutendsten Ministerialen des Salzburger Erzbischofs aufwarten, so etwa das Geschlecht der Surberger (um 1134). Aber nicht alle Ministerialen nannten eine großzügige Burg ihr Eigen. In vielen Fällen war es lediglich ein Wohnturm, manchmal nur ein aus Stein errichtetes  befestigtes Haus – „Sitz“ im Gegensatz zu den hölzernen Bauernhäusern –, das von einem weniger bedeutenden Gefolgsmann bewohnt wurde.

Größe und Gestalt der Burgen hingen maßgeblich vom Einfluss des Bauherrn, von finanziellen sowie naturräumlichen Bedingungen ab. Wir finden befestigte Anlagen in erster Linie auf Anhöhen, manchmal auch – vom Wasser umgeben – auf Inseln (z.B. Altentann, Henndorf a. Wallersee) und vereinzelt sogar in Höhlen (z.B. Stein an der Traun).

Stein an der Traun, um 1560, ist eine der wenigen Höhlenburgen Mitteleuropas © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Stein an der Traun, um 1560, ist eine der wenigen Höhlenburgen Mitteleuropas © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

Immer aber nützte man die natürlichen Gegebenheiten für einen strategischen Vorteil aus, obgleich die Burgen mehr waren als rein militärische Stützpunkte. Als Symbole adeliger, herzoglicher oder erzbischöflicher Macht errichtet, dienten sie einerseits einem adeligen Lebensstil, den wir uns freilich immer noch sehr einfach vorstellen müssen. Andererseits waren Burgen Zentren der gewerblichen und landwirtschaftlichen Versorgung des Adels sowie nicht zuletzt Mittelpunkte der herrschaftlichen Verwaltung.

Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts erfolgte, auch als Ergebnis zunehmender Rivalität zwischen dem Bayernherzog und dem Salzburger Erzbischof, für etwa ein Jahrhundert ein regelrechter „Boom“ beim Bau neuer Burgen. Nur bedingt konnten Bauern als Fronarbeiter für einfache Tätigkeiten beim Burgenbau herangezogen werden, die Hauptarbeit musste Fachleuten überlassen bleiben. Dass der Burgenbau ein kostspieliges Unterfangen war, verdeutlicht eine moderne Untersuchung, wonach allein der Bau eines Wohnturmes um das Jahr 1400 heutigen Kosten von etwa 850.000 Euro entsprochen haben dürfte.

Namengebender Wohnturm der Herren von Thurn, St. Jakob am Thurn © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Namengebender Wohnturm der Herren von Thurn, St. Jakob am Thurn © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

Trotz hoher finanzieller Anstrengungen entstand in dieser Zeit jene von mitunter unglaublicher Dichte geprägte Burgenlandschaft, deren Anlagen mittlerweile nicht selten verfallen oder gar völlig verschwunden sind.

Obwohl sich die Burgen weder im Aufbau noch in der Größe glichen, umfassten sie dennoch alle bestimmte und einander gleichende Bauelemente. Dazu gehörte der ummauerte Hof, der mitunter noch einen Vorhof, einen so genannten Zwinger, aufweisen konnte. Auf der Höhe der Ringmauer verlief ein Wehrgang, der in Holz oder Stein ausgeführt und an Schwachstellen mit Schießscharten und Zinnen bewehrt war. Die Burgkapelle fand sich auf jeder größeren Burg, besaß doch jedes Geschlecht seinen Familienheiligen, der dort besondere Verehrung genoss. Zum Wohntrakt gehörte der Palas, der dem Burgherrn und dessen Familie vorbehalten war und in seiner Ausgestaltung dessen Standesbewusstsein repräsentierte. Je größer und mächtiger die Burganlage war, desto aufwendiger fiel der Palas aus. Meist im Palas untergebracht waren der Speisesaal, die beheizbare Kemenate und der Söller, eine Art Empore im Saal.

Man benötigte auch eine Küche und Badstube, nicht zu vergessen die Vorratsräume, in denen – auch für den Fall von Belagerungen – der Proviant für die Burgbesatzung manchmal über Jahre eingelagert werden konnte. Der Turm diente einerseits einer erhöhten Aussicht, andererseits stellte er ob seiner Höhe und meist verstärkten Mauer den massivsten und stärksten Teil der Burg dar, weshalb man ihn oftmals an der schwächsten Stelle der Burg, dem Eingangstor, platzierte (z.B. Raschenberg). Im Verlaufe des 12./13. Jahrhunderts erhielt der oft sehr auffällig beschaffene Turm zusehends die Funktion des Bergfrieds (z.B. Mauterndorf), eines im Falle der Eroberung durch den Feind letzten Zufluchtsortes für die Burgbesatzung.

Dass Burgen nur in den seltensten Fällen in kriegerische Ereignisse verwickelt wurden, zeigen die vergleichsweise spärlichen Berichte über Belagerungen und Eroberungen im Gegensatz zu den langen Zeitspannen des Friedens. Es sind zwar einige Burgen bekannt, die nachweislich durch Krieg zerstört worden sind (z.B. Kirchberg bei Reichenhall, Wartenfels oder Kalham bei Eugendorf), doch es sind wenige im Vergleich zu denen, die dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen sind. Auch muss man sich von dem Bild befreien, wonach Burgbesatzungen aus mehreren Hundertschaften von Soldaten bestanden. Denn viel mehr als eine Handvoll Leute wird es für eine Burg durchschnittlicher Größe in Friedenszeiten kaum gewesen sein.

Bauern erstürmen während der Bauernkriege einen Adelssitz. Gemälde von Franz Jung-Ilsenheim © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Bauern erstürmen während der Bauernkriege einen Adelssitz. Gemälde von Franz Jung-Ilsenheim © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

Hinter jedem Burgenbau stand ein politisches Programm. Das beweist die Burgenpolitik der Salzburger Erzbischöfe in der Zeit nach dem Investiturstreit, da Burgen systematisch als Mittel zur Herrschaftssicherung geschaffen wurden. Vor allem die stattlichen Anlagen von Hohenwerfen, Hohensalzburg und Kirchberg bei Reichenhall – nach 1234 auch Tittmoning – sind als Beispiele zu nennen.

Die Burg von Tittmoning entwickelte sich zur starken Salzburger Grenzbefestigung gegen Bayern. © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Die Burg von Tittmoning entwickelte sich zur starken Salzburger Grenzbefestigung gegen Bayern. © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

Nachdem es den Erzbischöfen im Verlauf des 13. Jahrhunderts gelungen war, die Herrschaften der im Mannesstamm erloschenen Grafen von Lebenau und von Plain sowie den Pinzgau an sich zu bringen, wurden die dort bestehenden Burgen zu Stützpunkten der erzbischöflichen Macht. Sie bildeten fortan militärische Vorposten in den Auseinandersetzungen mit dem Herzog von Bayern, zumal der Erzbischof zusehends nach Loslösung seines Herrschaftsgebietes vom bayerischen Herzogtum und Schaffung eines eigenen Landes strebte. Diese Landesbildung kann mit der ersten urkundlichen Nennung des Landes 1342 als abgeschlossen gelten. Befestigte Passanlagen wie jene im oberen Saalachtal (Steinpass, Pass Strub) bewachten die Landesgrenzen oder schirmten – wie der Pass Lueg, der Kniepass und der Pass Luftenstein – die Einfallsstraßen in das Salzburger Gebirgsland ab.

Noch 1809 war der Pass Luftenstein eine heftig umkämpfte Talsperre. © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Noch 1809 war der Pass Luftenstein eine heftig umkämpfte Talsperre. © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

Im Gegenzug behauptete der Bayernherzog die von ihm beanspruchten Gebiete, so etwa das Reichenhaller Becken, durch den Ausbau von Burgen, denen nunmehr die Funktion von Grenzbefestigungen zukam. Dazu zählten unter anderem die entlang der Landesgrenze errichteten größeren Anlagen, wie beispielsweise Burghausen, Trostberg, Traunstein, Gruttenstein (Reichenhall) und Marquartstein, was in der Regel auch zum landesherrlichen Ausbau und Aufstieg der zugehörigen Städte und Märkte führte.

Im Schutz der Burg entwickelte sich Traunstein zu einer Stadt mit zentralörtlicher Funktion. Ansicht bei Philipp Apian um 1560 © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Im Schutz der Burg entwickelte sich Traunstein zu einer Stadt mit zentralörtlicher Funktion. Ansicht bei Philipp Apian um 1560 © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

Im Kriegsfall konnten diese mit Mauern umgürteten Orte auch als Aufmarschbasis für große Truppenkontingente verwendet werden. Die naturräumlich weitgehend abgeschlossene Propstei der Augustiner-Chorherren von Berchtesgaden, die noch früher als Salzburg eine eigene Landesbildung erreichte und bereits 1306 als „Land“ bezeichnet wurde, erhielt ab dem 12. Jahrhundert an den so genannten Ausgängen Passbefestigungen in Form befestigter Türme (Hallthurm, Schellenberg) und bewehrter Häuser (Torbauer, Hirschbichl, Schwarzbachwacht). Im Falle des Hallthurm erfolgte im 15. Jahrhundert sogar die Errichtung einer Talsperre mit vorgelagertem Graben (sog. Letzimauer).

Sowohl auf herzoglich-bayerischer als auch auf erzbischöflich-salzburgischer Seite wurden im Spätmittelalter die meisten der aus dem 12. und 13. Jahrhundert stammenden Burgen zu Zentren der Gerichtsverwaltung. Da die Hochgerichtsbezirke den Pflegern der zentralen Burgen unterstellt wurden, bezeichnete man sie fortan als Pfleggerichte. Der Pfleger galt als oberster landesfürstlicher Beamter eines Gerichtsbezirks. Er kümmerte sich um die Instandhaltung (Pflege) der Burg – daher der Name – und war für die Verwaltung sowie die Angelegenheiten der Polizei, des Militärs und der Rechtsprechung verantwortlich.

Mit der Erfindung des Schießpulvers im 14. Jahrhundert war die große Zeit der Burgen vorüber. Nur mehr imposante und exponiert liegende Anlagen, wie etwa die Grenzburgen Tittmoning und Burghausen oder die erzbischöflichen Hauptburgen Hohensalzburg und Hohenwerfen, wurden den fortifikatorischen Entwicklungen angepasst und weiter als Festungen ausgebaut. Doch der Burgenbau war überholt, das Wohnen hinter dicken und feuchtkalten Mauern nicht mehr gefragt. Seit dem 16. Jahrhundert wurden die meist aus dem Hochmittelalter stammenden Pfleggerichtssitze wegen ihrer Entlegenheit und der aufwendigen Erhaltung als Verwaltungszentren (z.B. Plainburg, Raschenberg, Tetelham, Alt- und Lichtentann) aufgegeben und von stattlichen, repräsentativen sowie standesgemäßen Bauten inmitten größerer Siedlungen abgelöst. Jene, die an ihren Höhenburgen festhielten, bauten diese in aller Regel zu Schlössern um, die auf italienische Vorbilder rekurrierten. Daneben entstanden – meist außerhalb der Städte – repräsentative Schlösser (Ansitze) für den Landadel, deren Wehrhaftigkeit vorerst tatsächlich noch gegeben, seit dem 17. Jahrhundert aber nur mehr durch Ecktürmchen symbolisch angedeutet war.

Marzoll entstand als eines der ersten Renaissanceschlösser in unserer Region in den Jahren von ca. 1526 bis ca. 1536. Ansicht um die Mitte des 18. Jh. © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall
Marzoll entstand als eines der ersten Renaissanceschlösser in unserer Region in den Jahren von ca. 1526 bis ca. 1536. Ansicht um die Mitte des 18. Jh. © J. Lang/Stadtarchiv Bad Reichenhall

In einigen Fällen war mit dem Adelssitz auch ein gerichtlicher Immunitätsbezirk verbunden, die manchmal ein ganzes Dorf umfassende so genannte Hofmark, in der die Niedergerichtsrechte beim Schloss- bzw. Burgherrn lagen.

Die Landesherren, vor allem der Salzburger Fürsterzbischof und der Fürstpropst von Berchtesgaden, aber auch der Fürstbischof von Chiemsee errichteten Jagd- und Lustschlösser, die einen im Zuge der Frühen Neuzeit veränderten Lebensstil verraten. Hinzu kamen Sommersitze und Residenzbauten, die nach französischem Vorbild zum Zwecke der Herrschaftsdemonstration oftmals besonders prächtig gestaltet waren. Sie wiederum stellten die Vorbilder dar für die vielen Adelssitze auf dem Land und in den Städten.