Die Westfassade der Berchtesgadener Stiftskirche mit dem anschließenden Propsteigebäude © H. Dopsch
Graf Berengar von Sulzbach gründete gemäß dem Vermächtnis seiner Mutter Irmgard, die dafür ein großes Waldgebiet zur Verfügung gestellt hatte, das Stift Berchtesgaden. Der Gründungskonvent – vier Augustiner-Chorherren sowie vier Laienbrüder – stammte aus dem Reformkloster Rottenbuch. Papst Paschalis II. stellte im Jahr 1102 das junge Stift unter päpstlichen Schutz. Dem unmittelbaren Zugriff des Salzburger Erzbischofs entzogen, erhielt Berchtesgaden 1156 und 1194 kaiserliche Schutzprivilegien von Friedrich I. „Barbarossa“ und Heinrich VI. Diese statteten das Stift mit dem Forst-, Jagd- und Fischrecht, dem Bergregal sowie der Gerichtsbarkeit über die Eigenleute aus und schufen damit die Rahmenbedingungen für eine eigenständige Landesherrschaft, die zu Beginn des 14. Jahrhunderts voll ausgeprägt war. Bis zur Säkularisation 1803 blieb Berchtesgaden in weltlichen Dingen nur dem Kaiser unterstellt. Seit 1491 wurden die Pröpste als „Reichsfürsten“ tituliert und besaßen seit 1559 Sitz und Stimme auf der geistlichen Fürstenbank des Reichstags.
Neben dem umfangreichen Grundbesitz, der bis in den Wiener Raum reichte, und der Landeshoheit gewann die Fürstpropstei seit dem Ende des 12. Jahrhunderts Bedeutung als Salzproduzent. Während eine Saline zuerst im Markt Schellenberg bestand, verlagerte sich mit der Entstehung eines neuen Salzbergwerkes (1517) und später einer dazugehörigen Saline der wirtschaftliche Schwerpunkt nach Berchtesgaden, in den Bereich der Stiftsbauten und der Administration.
Das Stift Berchtesgaden, dessen seelsorglicher Aufgabenbereich sich weitgehend auf die innerhalb des Stiftslandes gelegenen Pfarreien und Vikariate beschränkte, sah sich als politische Macht stets in der schwierigen Rolle, seine Unabhängigkeit zwischen den beiden größeren Nachbarn, Bayern und Salzburg, die sich das kleine Land mit seinen reichen Salz- und Holzvorkommen einverleiben wollten, zu bewahren. Obwohl durch Grenzbefestigungen und eine schützende natürliche Lage in einem Kranz hoher Berge gesichert, führte dies mehrfach zu kriegerischen Auseinandersetzungen und Eroberungen, so etwa 1190, 1382 oder aber 1611. Tatsächlich aber konnte Berchtesgaden – abgesehen von einer kurzen Zeit der Inkorporation in das Erzstift Salzburg 1394-1404/09 – seine Unabhängigkeit bis zur Aufhebung der Fürstpropstei 1803 behaupten, wenngleich seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert eine starke administrative und wirtschaftliche Anbindung an Bayern stattfand.
Die Rodungs-, Bildungs-, wirtschaftliche und kulturelle Tätigkeit der Augustiner-Chorherren bildete die Grundlage eines selbstbewussten geistlichen Fürstentums. Seit dem Spätmittelalter galt Berchtesgaden als adeliges Chorherrenstift. Neben einer ansehnlichen Geldsumme mussten die Konventsmitglieder auch einen adeligen Herkunftsnachweis erbringen. Zahlreiche Lustschlösser in der Umgebung des Marktes zeugen vom Repräsentationsbedürfnis und Standesbewusstsein der adeligen Chorherren, die sich ab dem 17. Jahrhundert nur mehr vereinzelt der Seelsorge zuwandten.
Gotische Stifterfigur des Grafen Berengar von Sulzbach, des Gründers der Stifte Berchtesgaden und Baumburg, in der ehem. Klosterkirche Kastl in der Oberpfalz © H. Dopsch
2. Die Konventsbauten wie auch die dreischiffige Stiftskirche mit dem Kreuzgang stammen aus dem 12./13. Jahrhundert, wurden allerdings in der Folgezeit stilistisch immer wieder überformt. Um 1470/80 wandelte man das Langhaus in eine gotische Hallenkirche um. Erst 1865 erfolgte die Ausgestaltung zu einer doppeltürmigen Anlage. Die Reichsunmittelbarkeit Berchtesgadens bewirkte eine außergewöhnlich reiche Ausstattung seiner Gotteshäuser mit Malerei, Plastik und Kunsthandwerk. Bemerkenswert sind die großteils erstklassigen Grabdenkmäler der Pröpste und Chorherren aus Untersberger Rotmarmor und Adneter Scheck, ebenso das kunstvolle Chorgestühl aus dem 15. Jahrhundert. Besondere Beachtung verdient der romanische Kreuzgang aus der Zeit um 1200 mit den reich verzierten Kapitellen seiner Säulen. Nach der Aufhebung des Stifts nutzte das bayerische Königshaus Wittelsbach die Konventsbauten, die sich noch heute in seinem Besitz befinden, als Sommerresidenz. Ein Teil davon wurde zum Museum umfunktioniert und kann besichtigt werden.
Autor/in: Dr. Johannes Lang