1 Wallfahrten und Wunderzeichen – unterwegs zu den Orten der Gnade

Broschüre:

Wallfahrtsorte sind Orte der Gnade. Damit verbunden sind die Vorstellung und der Glaube daran, dass Gott seine Gnadenströme an bestimmten Plätzen stärker ausgießt als anderswo. Es sind vornehmlich die Heiligen, deren verehrte Reliquien in den Heiligtümern ruhen und die als Mittler zu Gott angerufen werden. Der Verehrung der heiligen Gebeine geht die Überzeugung voraus, dass Kraft und Macht  (virtus) der Heiligen auch über den Tod hinaus ihre Wirkung haben. Orte, an denen sich solche Überreste befinden, stehen im Rufe besonderer Heiligkeit.

Seit dem frühen Christentum suchten Menschen derartige Plätze auf, um an den Gnadenströmen teilhaben zu können. Die Wirkungsstätten der Apostel, Jünger, Märtyrer und Bekenner wurden in den Rang öffentlicher Verehrung erhoben, die es galt – wenn es sein musste von weit her – zu besuchen. Noch im Verlaufe des Frühmittelalters kristallisierten sich mit Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela die drei großen Pilgerorte der abendländischen Christenheit heraus, und es war das erklärte Ziel eines jeden Christen, der sich als homo viator – als ein Wanderer im vergänglichen Erdenleben – verstand, irgendwann zu Lebzeiten eines dieser Heiligtümer zu erreichen. Das Unterwegssein zu einer Gnadenstätte bewegte das ganze Mittelalter, ob nun in privater Einzel- bzw. Gruppenpilgerschaft oder in der Form einer gemeindlich organisierten Prozession.

Ohne dass man begrifflich eine klare Trennung vollziehen könnte, wollen wir der Einfachheit halber die Besucher der oben genannten und in weiter Ferne liegenden Heiligtümer als Pilger, die anderen hingegen als Wallfahrer bezeichnen. Auf ihren langen Reisen passierten die Jakobspilger zahlreiche Gnadenorte, die es aufzusuchen galt, ebenso die am Weg nach Santiago gelegenen Kirchen, die dem hl. Jakobus d. Älteren geweiht waren. In unserer Region waren das die Gotteshäuser von Gois, Aufham, Unken oder aber St. Jakob am Thurn. Die Jakobsmuschel, einst Beweismittel für die tatsächliche Ankunft am Apostelgrab im Norden Spaniens, wurde schließlich gemeinhin zum Symbol aller Pilger.

Reliquiar des hl. Zeno, Bad Reichenhall © J. Lang
Reliquiar des hl. Zeno, Bad Reichenhall © J. Lang

Neben den Gräbern der Heiligen, deren Leiber Verehrung genossen, wie beispielsweise in Salzburg jene der hll. Erentrud, Rupert und Virgil, warteten zahlreich Gotteshäuser mit besonderen Reliquienschätzen auf, wobei Andechs, Halle oder Aachen besondere Bekanntheit erlangten. Einst scheint auch Berchtesgaden über einen solchen Heiltumsschatz verfügt zu haben. Ab dem 14. Jahrhundert begann man, die ursprünglich verhüllten und eingeschlossenen Reliquien mit Hilfe von Reliquiaren oder Schaubehältnissen (Ostensorien) sichtbar zu machen, woraus sich die Heiltumsschau – das öffentliche Aussetzen der Heiligenreliquien zu bestimmten Zeiten – entwickelte. Einzelne Reliquien, wie die des Pestheiligen St. Sebastian in der Ramsau oder aber das so genannte „Erzene Kreuz“ von St. Pankraz in Reit im Winkl, standen bis hinauf in das 18. Jahrhundert im Mittelpunkt der Verehrung.

 

Während bei all diesen Wallfahrten das Grab des Heiligen oder zumindest dessen Reliquie das Ziel der Gläubigen war, so änderte sich dies im späten Mittelalter grundlegend, als eine neue Art des Gnadenortes entstand: Nunmehr fühlte man sich auch angezogen durch Orte, die der Himmel zum Schauplatz seines wunderbaren Eingreifens in den gewohnten Gang der Dinge gewählt hatte. Manchmal brachte man damit mystische Erscheinungen oder aber Wunderzeichen (Mirakel) in Verbindung, meist jedoch ging damit die Auffindung wundertätiger Bilder einher. Dies konnten gemalte Bildnisse oder figürliche Skulpturen sein, die auf nicht selten wundersame Weise ihren Weg an ihren nunmehrigen Platz gefunden hatten. Sie wollten nicht, wie bis dahin üblich, belehren oder erbauen, sondern das Überirdische vergegenwärtigen, wodurch sie selbst zum Kultgegenstand aufstiegen. Öffentlich verehrt und von der Kirche anerkannt, entstanden Gnadenbilder, deren Schöpfer in vielen Fällen nicht bekannt sind und denen dadurch der Nimbus des Göttlichen anhaftet: sie werden gesalbt, gekrönt und geküsst; bei besonderen Anlässen erhalten sie Schmuck und Bekleidung und werden in Prozessionen herumgeführt. Sie erscheinen aber auch beseelt, denn sie können „verletzt“ werden, so dass sie erbleichen, geschwärzt werden, weinen oder gar bluten.

Votivtafel mit der Ursprungslegende von Maria Klobenstein 1664 © J. Lang
Votivtafel mit der Ursprungslegende von Maria Klobenstein 1664 © J. Lang

Am Beginn der spätmittelalterlichen Wallfahrt stand in der Regel eine Ursprungslegende, von der es die unterschiedlichsten Motive gab. Für St. Pankraz in Karlstein beispielsweise sagt die Legende, ein Vogel habe einen blutigen Holzspan auf jenen Felsen getragen, worauf man später – diesem höheren Wink folgend – eine Kirche gebaut habe. Für andere Wallfahrtsstätten wiederum waren es bestimmte Mirakel, oftmals Heilungen von schwerer Krankheit, die eine Wallfahrt auslösten. So etwa erschien dem Vater eines unter Epilepsie leidenden Knaben drei Nächte hindurch der hl. Valentin, weshalb er sich mit einem Opfer – einer schwarzen Henne – zu St. Valentin in Marzoll versprach. Nach der Heilung des Knaben und nach Einlösung des Gelübdes verwandelte sich im Beisein von hochrangigen Zeugen die schwarze Henne in ein weißes Huhn. Dieses im Jahre 1496 erfolgte Wunder, wie es exemplarisch ist für zahlreiche andere Gnadenorte jener Zeit, löste sodann eine blühende Wallfahrt aus.

Im 15. Jahrhundert entstanden in großer Zahl neue Wallfahrtsorte, die sich im Gegensatz zu den alten Fernwallfahrten vor allem bei der bäuerlichen Bevölkerung großer Beliebtheit erfreuten, da man sie viel leichter erreichen konnte und dabei auf dieselbe wirksame Gnade hoffen durfte. Der allerorten spürbaren Unsicherheit mit ihren unabwendbaren Gefahren, wie sie vor allem am Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit empfunden wurden, sollte durch göttlichen Trost und Gnadenerweis begegnet werden. Gut ein Drittel der in der „EuRegio Salzburg – Berchtesgadener Land – Traunstein“ noch bekannten Wallfahrten geht auf diese spätmittelalterliche Frömmigkeit zurück, wobei die meisten – so etwa Arnsdorf, Mülln, Großgmain, Feldkirchen, Weildorf, Maria Alm oder Frauenbrunn – marianische Wallfahrten sind; nur vereinzelt finden sich Heilige, denen eine besondere Macht zugesprochen wurde, so beispielsweise die hll. Koloman, Wolfgang, Bartholomäus, Leonhard, Valentin oder auch die Vierzehn Nothelfer. Dabei entstanden unterschiedliche Wallfahrtsbräuche, die sich oft individuell nach den Objekten der Verehrung und der Kirchenarchitektur richteten. Besonders bemerkenswert erscheint das Durchschliefen durch Löcher und Felsspalten, die in das Wallfahrtsprogramm einzelner Orte, wie z.B. Altenmarkt, eingebunden sind.

Ein geteilter Steinblock, zum Durchschliefen geeignet © J. Lang
Ein geteilter Steinblock, zum Durchschliefen geeignet © J. Lang

Nachdem die Wallfahrtstätten durch die reformatorische Kritik um die Mitte des 16. Jahrhunderts zum überwiegenden Teil ins Abseits geraten waren, erfuhren sie durch die katholische Gegenreformation einen erneuten Auftrieb. Während einige Orte diesen Bedeutungsverlust nicht verkrafteten und in der Gunst der Gläubigen fortan keine Beachtung mehr fanden, konnten sich andere auch weiterhin behaupten. Dazu kamen neue Gnadenstätten, die alle Aufmerksamkeit auf sich zogen, wie etwa die um 1600 entstandene Marienwallfahrt auf dem Dürrnberg. Während das dortige Gnadenbild noch einen individuellen Charakter besitzt, kam es vermehrt ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, nachdem das Ende des Dreißigjährigen Krieges eine längere Periode des Friedens beschert hatte, zur Verehrung von Gnadenbildkopien. Dem liegt die Vorstellung zu Grunde, dass die Kopien berühmter Kultbilder durch Berührung des Originals dieselbe Kraft entwickeln können wie das Vorbild. Ältestes Beispiel für eine Gnadenbild-Kopie im EuRegio-Raum ist die in der Berchtesgadener Kirche auf dem Anger befindliche „Ährenmadonna“, die um 1450 nach dem Mailänder Original geschaffen wurde.

Gnadenbild des berühmten "Maria Hilf" Bildnisses © J. Lang
Gnadenbild des berühmten „Maria Hilf“ Bildnisses © J. Lang

Zum wohl bekanntesten und ungezählte Male kopierten Gnadenbild geriet das von Lucas Cranach gemalte Bild „Maria Hilf“, dessen Original sich im Dom zu Innbruck befindet, dessen Passauer Kopie jedoch noch größere Bekanntheit erlangt hat. Die Kopien wurden ihrerseits zu Bildern der Verehrung, so etwa in Mondsee, Maria Klobenstein, Loipl oder in der Salzburger Franziskanerkirche. In Maria Mühlberg hingegen erlangte 1669 ein kleiner Kupferstich der berühmten Madonna von Ettal den Rang eines Gnadenbildes, was bald darauf den Bau einer Wallfahrtskirche zur Folge hatte. In der Berchtesgadener Hilgerkapelle finden wir eine Gnadenbildkopie von „Maria Dorfen“, in Maria Eck jene von Santa Maria Maggiore in Rom.

Das Gnadenbild "Maria Dorfen" auf einer Votivtafel in Niederachen © J. Lang
Das Gnadenbild „Maria Dorfen“ auf einer Votivtafel in Niederachen © J. Lang

Von den im Zuge der neuen Barockfrömmigkeit vor allem von Seiten der Salzburger Fürsterzbischöfe geförderten neuen Wallfahrtstätten Maria Kirchental und Maria Plain wurde letzteres Gnadenbild selbst zu einem immer wieder kopierten Objekt. Das Original, aus Regen im Bayerischen Wald stammend, war bei einem Brand unversehrt geblieben, auf Umwegen nach Salzburg gekommen und dort zum öffentlich verehrten Gnadenbild geworden. Die Unversehrtheit eines Bildnisses inmitten von Chaos und Zerstörung führte vielfach zum Beginn einer Wallfahrt, so beispielsweise auch in Vachenlueg, wo der Erzählung nach beim Einsturz der alten Burg im Jahre 1824 allein das Muttergottesbild unversehrt geblieben sei. In Bad Reichenhall wird seit 1945 ein Madonnenbildnis verehrt, das in einem von Bomben zerstörten Haus auf wundersame Weise unbeschädigt war.

Als eine Besonderheit entwickelte sich ab der Mitte des 16. Jahrhunderts der Kult um die Santa Casa in Loreto, da der Legende nach im Jahre 1295 das Haus der Heiligen Familie von Nazareth nach Loreto in Mittelitalien gebracht worden war. Indem man die genauen Maße und Architektur dieses Heiligtums nachahmte, schuf man in ganz Europa zahlreiche Loretokirchen, seit 1647 ( Marwang; daneben Maria Klobenstein und St. Jakob a. Thurn) auch in unserem Raum, die ihrerseits zu Wallfahrtsorten aufstiegen. Bis heute ist die Lauretanische Wallfahrt nach Maria Loreto in Salzburg von Bedeutung.

Votivtafel mit der Darstellung einer Gemeindewallfahrt, 18. Jahrhundert © J. Lang
Votivtafel mit der Darstellung einer Gemeindewallfahrt, 18. Jahrhundert © J. Lang

Neben dem Spätmittelalter war vor allem das Jahrhundert zwischen 1650 und 1750 die große Zeit der Wallfahrten, die entweder einzeln oder von Gruppen (Kreuztrachten) oft über weite Strecken durchgeführt wurden. Bis heute bekannt ist die „Almer Wallfahrt“ über das Steinerne Meer, die von Maria Alm nach St. Bartholomä führt und ursprünglich sogar weiter bis Dürrnberg gegangen ist. Während für das frühe 16. Jahrhundert vor allem Mirakeltafeln, wie etwa von Großgmain (1513) bekannt sind, setzten sich ab dem 17. Jahrhundert Votivtafeln durch, die von einzelnen auf die Fürsprache Mariens oder der Heiligen hin erfolgten Wundern künden. Sie finden sich in fast allen Wallfahrtskirchen in mehr oder weniger großem Umfang, doch nur die großen Heiligtümer führten zudem Mirakelbücher, in denen die Geistlichen der Wallfahrtsstätten die Wunderzeichen auch schriftlich festhielten.

Notariell beglaubigte Mirakeltafel, Großgmain ca. 1513/1550 © J. Lang
Notariell beglaubigte Mirakeltafel, Großgmain ca. 1513/1550 © J. Lang

Doch im Gegensatz zu den spätmittelalterlichen Wallfahrten verstand es die Kirche nun weit besser, den Erfolg bzw. Misserfolg der Gnadenstätten zu beeinflussen. Für die Fürstpropstei Berchtesgaden z.B. entstanden ab 1669 auf eigenem hoheitlichem Territorium in rascher Abfolge drei neue Marienwallfahrtsorte ( Maria Gern; daneben Maria Kunterweg und Maria Ettenberg), die auch von außerhalb des Landes regen Zulauf fanden. Stets nämlich wirkte sich der Zuspruch eines Wallfahrtsortes in den unterschiedlichsten Bereichen auch finanziell aus: Da waren die Messstiftungen, die Devotionalienhändler, Wachszieher, Maler von Votivtafeln, natürlich die Opferstöcke und – nicht zu vergessen – die Wirtshäuser, die sich in unmittelbarer Nähe fast aller Wallfahrtskirchen finden lassen. Aber nicht immer war es möglich, die Strömungen der Gläubigen zu steuern, wie das Beispiel der Schnappenkirche zeigt, wo die Wallfahrer trotz neuer obrigkeitlich geordneter Wallfahrtsgebräuche an ihren alten Ritualen festhielten.

Für die vielen in voller Blüte stehenden Wallfahrtsstätten bedeuteten die gesetzlichen Einschränkungen, die im Geiste der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfolgt waren, einen herben Einschnitt: Votivtafeln waren plötzlich verpönt, ebenso altertümlich erscheinende Wallfahrtsgebräuche; zudem durften sich Wallfahrten nicht mehr über mehrere Tage hin erstrecken, und sie sollten nicht mehr ins Ausland führen. Einige Orte wurden so in die Bedeutungslosigkeit gedrängt, andere hatten Mühe, ihren Wallfahrtscharakter zu bewahren.

Maria als Beschützerin bei Unwetter und Blitzschlag, Votivbild aus Niederachen © J. Lang
Maria als Beschützerin bei Unwetter und Blitzschlag, Votivbild aus Niederachen © J. Lang

Freilich ließ sich die Wallfahrt als ein Ausdruck der Volksfrömmigkeit nicht unterdrücken. Nach der Säkularisation ab 1803, die das Ende der geistlichen Fürstentümer Salzburg und Berchtesgaden sowie zahlreicher Klöster und Stifte gebracht hatte, lagen die Wallfahrtsstätten meist in den Händen der Ortspfarrer. Das Geschick wollte es, dass einige dieser Stätten bis heute Orte der Gnade geblieben sind und als solche mehr oder weniger stark besucht werden. Dem menschlichen Leben vergleichbar, erlebten sie Höhen und Tiefen in ihrer Beliebtheit. Immer dann, wenn man gerade damit beginnt, sie als unzeitgemäß abzuschreiben, sorgen unerwartete Impulse und Strömungen dafür, dass die Heiligtümer mit ihren Gnadenbildern erneut in den Mittelpunkt der Verehrung treten. Ähnlich verhält es sich mit der Heiltumsschau und den Pilgerzielen, die in den letzten Jahrzehnten wieder eine unerhörte Resonanz erfahren, wie beispielsweise Santiago de Compostela. Seit einigen Jahren ist der berühmte „Jakobsweg“ auch für das EuRegio-Teilstück ausgeschildert.

Kult und Verehrung sind Dinge, die vom Volke ausgehen und sich nur unzulänglich in ein System bringen lassen. Mystik und Visionen erleben – so wie die Wallfahrtsorte selbst – immer wieder aufs Neue Zeiten der Ablehnung und Zeiten der Akzeptanz. Hier wird plötzlich eine Quelle als wundertätig erachtet, da wird an einem bestimmten Tag ein Sonnenstrahl auf eine Kapelle projiziert und dort erleben Menschen einen Platz als „Kraftort“! – Stets entstehen – auch im christlichen Kontext – neue Stätten der Verehrung, während andere in Vergessenheit geraten. In vielen Fällen ist es schwierig, eine klare Grenze zum typischen Wallfahrtsort zu ziehen. Daher wurden für die vorliegende Broschüre nur jene Heiligtümer ausgewählt, die nachweislich den typischen Charakter von Wallfahrtskirchen getragen haben oder diesen immer noch in sich bergen.

Autor/in: Dr. Johannes Lang