Berchtesgaden – Markt

Broschüre:
Das "Hirschenhaus", umgebaut 1892-1894 nach Plänen von Ludwig Thiersch, am Berchtesgadener Marktplatz mit dem Marktbrunnen © Oskar Anrather
Das "Hirschenhaus", umgebaut 1892-1894 nach Plänen von Ludwig Thiersch, am Berchtesgadener Marktplatz mit dem Marktbrunnen © Oskar Anrather

Der Klostermarkt als Zentrum des Landes

Geschichte

Der Name Berchtesgaden ist germanischen Ursprungs und geht auf einen Mann namens Per(c)htger zurück, der im Waldgebiet um Grafengaden, einem Sitz der Grafen von Plain, ein kleines Haus (mhd. gadem, gaden) besessen haben mag. Streufunde aus der Jungsteinzeit belegen eine dünne Besiedelung durch Jäger und Fischer vor ca. 4.000 Jahren.

Der Markt Berchtesgaden um 1818. Kolorierter Stahlstich (vor 1839) von Alexander Marx nach Johann Adam Klein © Oskar Anrather
Der Markt Berchtesgaden um 1818. Kolorierter Stahlstich (vor 1839) von Alexander Marx nach Johann Adam Klein © Oskar Anrather

Ein frommes Gelübde und eine Klostergründung gaben zu Beginn des 12. Jahrhunderts den Anlass für das Entstehen einer Siedlung in Berchtesgaden: Vielleicht aus Dankbarkeit für die Rettung ihres Gemahls, des Grafen Gebhard II. von Sulzbach, von einem Jagdunfall stiftete Irmingard von Sulzbach auf ihren Besitzungen in Berchtesgaden um das Jahr 1100 Güter zur Gründung eines Augustiner Chorherrenstifts. Nach ihrem Tod nahmen sich ihre Söhne, Graf Berengar I. und dessen Halbbruder Kuno von Horburg, dieses Gelübdes an und erwirkten 1102/05 ein Privileg von Papst Paschalis II., der die Gründung unter seinen Schutz nahm. Die ersten Regularkanoniker kamen mit Propst Eberwin aus Rottenbuch, dem Zentrum der Chorherrenreform in Bayern. Wirtschaftliche Überlegungen führten um 1107 zu einer Vereinigung Berchtesgadens mit Baumburg, einer weiteren Stiftung des Grafen Berengar I. von Sulzbach. Ein Jahrzehnt später kehrte Eberwin mit seinen Kanonikern auf Initiative des Gründers nach Berchtesgaden zurück und lies die den Hll. Petrus und Johannes Baptist geweihte Stiftskirche (1122) erbauen. Unter Erzbischof Konrad I., der 1136 die Trennung der beiden Stifte bestätigte, wurde Berchtesgaden in den Salzburger Reformverband der Augustiner Chorherren eingebunden.

Einen ersten Aufschwung nahm die Siedlung noch im 12. Jahrhundert mit der Bestätigung des großen Waldgebietes, aus dem später das Land Berchtesgaden hervorgehen sollte, durch Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1156). Das Bergregal, d. h. das Schürfrecht auf Metall und Salzvorkommen, das bereits als Fälschung in die Barbarossa-Urkunde eingeflossen war, wurde 1194 durch ein Diplom Kaiser Heinrichs VI. bestätigt. Dieser Privilegierung ging die Entdeckung von Salzvorkommen und die Errichtung zweier Salinen am Gollenbach (nahe dem heutigen Salzbergwerk) und am Tuval (Gutratsberg/Götschen bei Schellenberg) unmittelbar voraus. Forsthoheit und Salzgewinnung boten die entscheidende Grundlage für die Ausbildung eines geistlichen Territoriums, dessen Eigenständigkeit sich 1294 in der Verleihung des Blutbanns durch König Adolf von Nassau und in der Bezeichnung als „Land“ (1306) manifestierte. Die Fürstpropstei, deren Propste seit 1559 Sitz und Stimme auf der geistlichen Fürstenbank des Reichstags besaßen, stand bis 1723 unter der Regierung der Wittelsbacher, die als Propste und bisweilen auch in Personalunion als Kurfürsten und Erzbischofe von Köln auftraten.

Der Ort Berchtesgaden konnte bereits im 13. Jahrhundert zu einem Klostermarkt heranwachsen, der vor allem der Nahversorgung des Stifts und der in dessen Umkreis tätigen Personen diente. Durch die stete Präsenz des Landes- und Grundherrn und die dadurch bedingte starke Abhängigkeit des Stiftsmarktes erlangte der Ort allerdings nur in beschränktem Umfang marktbürgerliche Freiheiten. Weder Marktrechtsverleihung noch Markterhebungsprivileg sind belegt, das Marktrichteramt wurde mit dem des Landrichters vereinigt. Auch kam es zu keiner systematischen Aufzeichnung der Grenzen einer Burgersiedlung (Burgfried). Die Bürger Berchtesgadens unterstanden wie die Landbevölkerung bis 1807 der Leibeigenschaft des Landesherrn. Eine Selbstbezeichnung der Siedlung als Markt (forum) ist für das Jahr 1328 bezeugt, Bürger treten erst an der Wende zum 15. Jahrhundert (1392) in Erscheinung. Eine Marktordnung regelte 1567 (weitere 1618, 1691) das geltende Gewohnheitsrecht und hielt die wichtigsten Vorschriften zu Wirtschaft und Marktaufsicht fest. Die Abhaltung von Wochenmärkten ist erst für das 17. Jahrhundert überliefert. Die Säkularisation setzte im Jahr 1803 nicht nur der Fürstpropstei, sondern auch der Eigenstaatlichkeit Berchtesgadens ein Ende:

Die ehemalige Stiftskirche mit dem Probsteigebäude, einst Residenz der Fürstpröpste, seit 1810 im Besitz des Hauses Wittelsbach © Oskar Anrather
Die ehemalige Stiftskirche mit dem Probsteigebäude, einst Residenz der Fürstpröpste, seit 1810 im Besitz des Hauses Wittelsbach © Oskar Anrather

Nach wechselnden politischen Verhältnissen (1803 Teil des Kurfürstentums Salzburg, 1805–1809 Zugehörigkeit zum Kaiserreich Österreich, 1809 französisch) gelangte Berchtesgaden 1810 zusammen mit Salzburg an das Königreich Bayern und blieb unter der Herrschaft der Wittelsbacher, während Salzburg 1816 zum Großteil an Österreich fiel. Die bayerischen Könige waren es, die das ehemalige Chorherrenstift zu einem Schloss ausbauten und alljährlich als Sommerresidenz zu großen Hofjagden nutzten.

Mit ihrem Hofstaat besuchten in der Folge zahlreiche Gelehrte, Naturwissenschaftler und Künstler Berchtesgaden. Maler, Grafiker und Kupferstecher fanden in der Landschaft um den Watzmann und Königssee ein beliebtes Motiv. Nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71) entwickelte sich, begünstigt vom Straßen- und Eisenbahnbau (1888), ein wachsender Fremdenverkehr, der sich auch in der Anlage von großzügigen Parkanlagen und Villen äußerte. Zahlreiche Industrielle, Diplomaten und Schriftsteller besuchten die Region, darunter Jonas Lie, Henrik Ibsen und Ludwig Ganghofer, der Berchtesgaden des Öfteren zum Handlungsort seiner Romane wählte.

Die Zeit des Nationalsozialismus ließ Berchtesgaden mit der Errichtung der „Reichskanzlei Dienststelle Berchtesgaden“ durch Adolf Hitler, der bereits 1923 dem Obersalzberg einen Besuch abgestattet hatte, in ein besonderes Licht treten. Mit der Vertreibung der einheimischen Besitzer und dem Neubau einer Reihe von Gebäuden am Obersalzberg entwickelte sich die Region zu einem zweiten Machtzentrum des Deutschen Reiches. Durch den Umbau des Hauses Wachenfeld zum „Berghof“ als privatem Rückzugsort des „Führers“ (1935/36) und die Errichtung von Wohn- und Gästehäusern für Staatsgäste der NS-Funktionäre entstand ein „staatlich organisierter Wallfahrtsort des Nationalsozialismus“.

Der Kehlstein mit dem Kehlsteinhaus, ehemaliges Diplomatenhaus, erbaut 1937/38 © Oskar Anrather
Der Kehlstein mit dem Kehlsteinhaus, ehemaliges Diplomatenhaus, erbaut 1937/38 © Oskar Anrather

Dazu gehörte auch das Kehlsteinhaus („Adlernest“), das Martin Bormann im Namen der NSDAP dem „Führer“ zum 50. Geburtstag schenkte. Dennoch hielt sich der offene Widerstand gegen das NS-Regime, angeführt von den Berchtesgadener Weihnachtsschützen (bei der Entnazifizierung als widerstandsähnliche Gruppe anerkannt) unter dem Volkskundler und Brauereibesitzer Rudolf Kriss, in Grenzen. Noch im Januar 1945 lies Hermann Göring wichtige Stücke aus seiner Kunstsammlung im Berchtesgadener Stollen einlagern. Der Luftangriff am 25. April 1945 traf überwiegend den Obersalzberg, Berchtesgaden selbst wurde von Kriegsschäden verschont.

Nach Abzug der NS-Machthaber und kampfloser Übergabe besetzte ein Verband von US-Truppen den Markt Berchtesgaden. Die einstigen Alliierten nutzten nun selbst einen Großteil der Gebäude (Platterhof/Hotel General Walker, Atelier Speer/Evergreen Lodge) und Gelände bis zu ihrem Abzug 1996 und errichteten in Berchtesgaden ab 1953 ein Erholungszentrum (U. S. Armed Forces Recreation Center/AFRC). Die übrigen Wohngebäude Görings und Bormanns und der „Berghof“ wurden, um jeglichen NS-Kult zu verhindern, abgetragen oder gesprengt. Eine kritische Aufarbeitung mit der NS-Vergangenheit bietet heute die dort neben dem Kehlsteinhaus 1999 eröffnete „Dokumentation Obersalzberg“. Im Zuge der Gebietsreform (1972) wurde die selbstständige Gemeinde Salzberg, zu der auch Obersalzberg gehörte, nach Berchtesgaden eingemeindet.

Ortsbild

Durch den ausgreifenden Komplex des geistlichen Zentrums rund um die Stiftskirche ergaben sich für die Bürgersiedlung nur beschränkte Möglichkeiten der Expansion. Der älteste Siedlungskern entstand im Bereich des oberen Markts in Hohe der bereits 1328 erwähnten stiftseigenen Taverne „Leithaus“. Rund um dieses Zentrum ließen sich bereits im Spätmittelalter Handwerker und Gewerbetreibende nieder (Schmiede, Schuster 1428, Bader 1451). Verschiedene Gebäude am unteren Markt, im Kupplergraben und Nonntal lassen sich anhand der Abgabenverzeichnisse bis ins Spätmittelalter verfolgen. Eine endgültige Abgrenzung zum Stiftsbezirk vollzog sich durch die Anlage von Umfassungsmauern (Schlossarkaden 1541/46, Neuhausbogen, Ledererbogen im Nonntal, Hofgarten), die den Zugang vom Nonntal zum Marktplatz nur mehr über die enge Salzburger Straße möglich machten.

Rund 60 Anwesen prägten im 16. Jahrhundert das Siedlungsbild des Ortes, der sich in den folgenden Jahrhunderten nur langsam vergrößerte. Die älteste historische Ansicht (Stich von Matthaus Merian, 1644) zeigt eine lockere Bebauung mit einem hohen Anteil Grünflächen, die als Viehweiden und Hausgarten zur Selbstversorgung der Bürger genutzt wurden. Zusätzlichen Wohnraum schuf die im 17. Jahrhundert zunehmende Aufstockung der Häuser mit bis zu vier Stockwerk hohen, giebelständigen Gebäuden in alpenländischer Bauweise, wie z. B. das markante und durch seine Fassadenmalerei auffällige Hirschen- oder Labermayrhaus am Markplatz aus dem Besitz einer bedeutenden Familie Berchtesgadener Holzwarenverleger. Eine Konzentration von Gebäuden der Stiftsbediensteten lässt sich für das Nonntal feststellen (Hofbinder-, Mundkoch-, Kanzler- bzw. Gerichtsschreiberhaus), wo sich an der Stelle des heutigen Rathauses gegenüber der Pfarrkirche St. Andreas auch die Getreideschranne befand. Die Straßenbezeichnung weist auf das ehemalige Frauenkloster der Augustiner Chorfrauen unterhalb des Locksteins hin, das sich zwischen 1125/1136 und 1400 an dieser Stelle befand, bevor der Umzug ins Frauenkloster am Anger erfolgte. Nach der Auflösung des Klosters 1564 übernahmen 1695 die Franziskaner Kirche und Kloster, heute befindet sich darin das Nationalparkhaus. Durch die Umsetzung eines Verkehrskonzepts mit Erweiterung der Fußgängerzone hat der innere Ortsbereich seit den 1990er Jahren zunehmend an Attraktivität gewonnen.

Wirtschaft

Berchtesgadens wirtschaftlicher Reichtum beruhte über Jahrhunderte auf der Salzgewinnung, die sich neben der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und dem Holzhandwerk zur wichtigsten Wirtschaftssäule des Landes entwickelte. Die im 12. Jahrhundert entdeckten Salzvorkommen am Gollenbach und Tuval führten zunächst zur Errichtung eines Sudhauses des Stifts bei Niederalm (heute Land Salzburg), später zum Ausbau der Saline in Schellenberg, der auch die Sole aus Berchtesgaden zur Weiterverarbeitung zugeleitet wurde. Der 1517 im Markt Berchtesgaden in Betrieb genommene Petersberg-Stollen, der Frauenberg (1559) und die 1555 neu errichtete Saline in Frauenreuth (am Gelände des heutigen Bahnhofs, 1820 abgebrannt) sowie die 1628 erschlossene Anlage am Ferdinandsberg sicherten bis 1803 Berchtesgadens wirtschaftliche Unabhängigkeit, gaben aber auch immer Anlass zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem benachbarten Erzstift Salzburg und den bayerischen Herzogen, die die Salzausfuhr aus dem Berchtesgadener Talkessel zugunsten eigener Monopole (Salinen in Hallein, Reichenhall) zu beschränken versuchten. Der „Salzkrieg“ und die Besetzung Berchtesgadens durch den Salzburger Erzbischof ließen 1611 Herzog Maximilian als Sieger in Salzburg einziehen und endeten mit Absetzung, Gefangenschaft und Tod des Salzburger Erzbischofs Wolf Dietrichs von Raitenau.

Mit der Eingliederung Berchtesgadens in das Königreich Bayern dienten die Salzvorkommen der Rohstoffversorgung der Saline in Reichenhall. Zu diesem Zweck wurde 1817 mit dem Bau einer 29 km langen Soleleitung begonnen. Die Überwindung einer Höhendifferenz von 356 Metern gelang durch das technische Meisterwerk einer Solehebemaschine (Pumpe) des königlichen Salinenrats Georg von Reichenbach. Noch heute wird das in Berchtesgaden abgebaute „weise Gold“ durch eine 1960 neu angelegte Soleleitung über den Hallturm nach Bad Reichenhall gepumpt.

Neben der Salzgewinnung, mit der auch eng die Forstwirtschaft und Sudholznutzung verbunden waren, entwickelten sich eine traditionelle Landwirtschaft der Zu- und Nebenerwerbsbauern und die Almbewirtschaftung sowie besondere Formen der Holzhandwerkskunst. Die „Berchtesgadener War“ (Holzschachteln, Schnitzereien, Musikinstrumente und Spielwaren) wurde als Zuerwerb von der bäuerlichen Bevölkerung gefertigt. Bis ins 19. Jahrhundert waren diese typischen Produkte der Volkskunst auf den europäischen Messen und in ganz Europa bekannt.

Heute ist der Marktort am Fuße einer einzigartigen Hochgebirgswelt (Watzmann 2714 m u.d.M.) inmitten des Nationalparks Berchtesgaden ein bekanntes Ausflugsziel, das sich auch wegen seiner Nachbarschaft zur Mozartstadt Salzburg und zum Kurort Bad Reichenhall großer Beliebtheit erfreut. Zahlreiche Sport-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sind Zeugnis eines aktiven Brauchtums und Vereinslebens (u. a. Gebirgstrachtenerhaltungsverein, Weihnachtsschützenverein).

Wappen

Wappen
Wappen

Das bereits im 17. Jahrhundert bezeugte Wappen zeigt einen gevierten Schild mit den gekreuzten Schlüsseln des Simon Petrus, einem der beiden Schutzpatrone der Stiftskirche (St. Peter, Johannes der Täufer), und den sechs silbernen Lilien auf blauem Grund, die auf das Wappen der Stifterin, Irmingard von Sulzbach, hinweisen sollen. Den Herzschild bildete einst das jeweilige Wappen des regierenden Fürstpropstes. Seit der Angliederung Berchtesgadens an Bayern (1810) wurde es durch bayerische Rauten ersetzt. Eine offizielle Verleihung des Gemeindewappens erfolgte am 15. Dezember 1891 durch Prinzregent Luitpold. Ein älteres, bereits 1630 als Siegel der „Gemeinen Land- und Bürgerschaft“ von Berchtesgaden bezeugtes Bild des Pfarrpatrons, des heiligen Andreas, fand bei dieser Wappenverleihung keine Berücksichtigung.

Aktuell

Seehöhe 570 m, Fläche 35,61 km2, 7.624 Einwohner (2009). Zum Gemeindegebiet gehören seit der Gebietsreform auch die ehemals selbstständigen Gemeinden Salzberg, Maria Gern und Au (Oberau und Unterau).

Autor/in: Kerstin Lengger